Einreise nach Berlin
Da von unserem erlauchten Herrscher seit dreißig Jahren
kein Gesandter nach Berlin gekommen war, so konnte die
Bevölkerung Berlins unsere Ankunft in der Stadt nicht
abwarten. Winter und Schnee nicht achtend, kamen sie, Männer
und Weiber, in Wagen, zu Pferde und zu Fuß, um uns zu sehen
und mit Verwunderung zu betrachten, und kehrten dann wieder
nach Berlin zurück.
Nachdem wir so einige Tage in Cöpenick verbracht hatten,
brachen wir an dem genannten Tage des erwähnten Monats wieder
auf. Als wir das eine Stunde vor Berlin gelegene Landgut
Rummelsburg erreichten, empfing uns dort Herr Diez, der vordem
als Gesandter in Konstantinopel gewesen war, mit 7 oder 8
Kutschen, sowie mit Lakaien [itschoglanlar] des Königs und
einer Anzahl Reiter. Wir nahmen Kaffee und Kuchen zu uns,
danach ließ man uns in dem König eigene und, um die Hohe
Pforte zu ehren, herbeigebrachte sechsspännige Kutschen steigen
und im Zuge mitten durch die Stadt Berlin ziehen. So geleitete
er uns in die hergerichtete Herberge.
Schon von Cöpenick bis Berlin waren die Wege auf beiden
Seiten dicht gedrängt voll Zuschauer, und nun erst diese
Menschenmenge in der Stadt! Wo unser Weg hindurchführte, waren
die Straßen und die Fenster der Häuser in solchem Maße von
Leuten gefüllt, dass man einige Male tatsächlich sah, wie die
Pferde des Wagens, in dem wir saßen, wegen der Menschenmenge
nicht vorwärts konnten und stehen blieben.
Nachdem für den dritten Tag unserer Ankunft in Berlin eine
Audienz bei dem ersten Staatsminister und für den fünften beim
König bestimmt war, wobei ein kaiserliches Schreiben und ein
Brief seiner Exzellenz des Kaim-mekams überreicht werden
sollten, lud uns einen Tag vor der offiziellen Audienz bei dem
ersten Staatsminister der zweite Staatsminister inoffiziell in
sein Haus ein. Als der übliche Kaffee mit Kuchen genossen war,
gaben wir auf seine Frage nach unserer Mission folgenden
Bescheid: "Unsere Mission ist darzulegen, dass von dem
osmanischen Reich betreffs der Verpflichtungen des zwischen
der Hohen, Ewigswährenden Pforte und dem preußischen Staate
geschlossenen schönen Bündnisses nichts unterlassen werden
wird, um dadurch seiner Majestät dem König Zuversicht zu
erwecken und ihn gemäß den Bündnispflichten zur Teilnahme am
Kriege zwischen der Hohen Pforte und den sie bekämpfenden
Ländern anzuregen und anzutreiben. Alsdann kehrten wir wieder
in unsere Wohnung zurück. Wie bereits geschrieben, sollte an
dem genannten Tage die Audienz bei dem ersten Staatsminister
und dabei die Übergäbe des Briefes seiner Exzellenz des
Kaim-mekams stattfinden. Dazu kam zur Mittagszeit ein Einlader
des Staatsministers mit einer dem Minister selbst eigenen
Kutsche und einigen Kutschen für unser Gefolge. Mit den
Worten: "Der Staatsminister erwartet Sie!" geleitete er uns in
den Wagen und brachte uns nach dem Palais des Staatsministers.
Bei unserer Ankunft daselbst empfingen uns zwei, Räte
genannte, angesehene Herren am Fuß der Treppe und führten uns
in das Gemach, in dem der Staatsminister war. Indem wir,
während er stand, auf ihn zugingen und ihm jetzt mit den
Worten: „Dieser hohe Brief wird von dem jetzigen Kaim-mekam
der Hohen Pforte, seiner Exzellenz unserem hochansehnlichen
und glückseligen Herrn Mustafa, gesandt zur Bekräftigung der
Zuneigung und Freundschaft, die ihn mit Euch, V22 seinem
Freund, dem geschätzten und würdevollen Staatsminister des
preußischen Staates, verbindet", den Brief seiner Exzellenz
des Kaim-mekams eigenhändig überreichten, erklärte er: „Diese
Mission eines Gesandten mit einem kaiserlichen Schreiben zur
Begründüng der Freundschaft, die die Hohe Pforte speziell für
den König von Preußen bekundet, wird diesem König in allen
Staaten Ruhm und Ehre einbringen." Danach setzten wir uns auf
zwei bereitgestellte Stühle einander gegenüber und
unterhielten uns ein wenig über die Reise; frischten erfreut
die gemeinsamen Bekanntschaften aus dem Jahre 76 wieder auf
und sprachen befriedigt von unserer Gesandtschaft und Mission.
Alsdann kehrten wir so, wie wir gekommen waren, wieder in
unsere Wohnung zurück.
Am Tage nach unserer Audienz bei dem ersten Staatsminister
veranstaltete der zweite Staatsminister Hertzberg ein Fest,
wozu er uns in sein Haus einlud. Wir nahmen seine Einladung an
und wurden bei unserer Ankunft in seinem Palais im Audienzsaal
empfangen und in sein Zimmer geleitet. Sobald dann mit einigen
formellen Reden voll Freundschaftsbezeugungen die nötige
Bekanntschaft und Ungezwungenheit hergestellt war, führte er
uns mit den anderen eingeladenen leitenden Männern des Volkes
zusammen an die festlich gedeckte und zugerichtete Tafel.
Indem er uns nun mit einigen nach unserem Geschmack bereiteten
Speisen bewirtete, bezeigte er uns die größte
Liebenswürdigkeit und Ehrung.
Am folgenden Tage kam der oben erwähnte Herr Diez, um uns
zu feierlicher Übergabe des kaiserlichen Schreibens in das
königliche Schloss einzuladen. Dazu kam ein Stallmeister mit
einer sechsspännigen Hofequipage, sowie ein Hauptmann mit
einigen königlichen Kammerdienern und 40 bis 50 Soldaten. Sie
geleiteten voll Hochachtung vor dem kaiserlichen Schreiben
unseren Diwan **** und unseren ****, der die kaiserlichen
Geschenke mit sich führte, in eine der Equipagen und uns
gleichfalls mit unserem Dolmetscher in die andere. Indem nun
der Wagen mit dem kaiserlichen Schreiben vorausfuhr und wir
hinterher, brachte man uns nach dem königlichen Schloss.
Daselbst eilte unser Mihmändär, Major Roeder, mit einem
anderen Major aus dem Schlosstor auf uns zu, und sie
geleiteten uns ihrerseits in ein Vorzimmer, das neben dem Saal
lag, in dem sich der König befand. Nachdem wir eine
Viertelstunde gewartet hatten, kam ein Hofmarschall (teschvifatdschi)
genannter Mann und öffnete die Tür des Saales, in dem sich der
König befand. Nun traten wir mit einigen ausgewählten Leuten
unseres Gefolges sowie unserem Dolmetscher ein.
Am anderen Ende des Saales stand der König auf einer etwa
eine halbe Elle (zira) hohen, mit persischem Teppich
bedeckten, viereckigen Erhöhung vor seinem Thron. Wir näherten
uns dieser Erhöhung mit den Worten: „Der jetzige Herrscher aus
osmanischem Stamm, der majestätische, Ehrfurcht gebietende,
starke und stolze, der König der Könige, der perlengekrönte
Monarch, Sultan Selim Chan, unser Herr, sendet Eurer
allerhöchsten, würdevollsten Majestät, dem König von Preußen
dies kaiserliche Schreiben und diese, seine Gunst bezeugenden
Geschenke
Aus den Händen unseres Divankatibi nahmen wir dann das
kaiserliche Schreiben und aus denen unseres Kahja die von
Wohlwollen zeugenden Geschenke, küssten sie und überreichten
sie nacheinander; worauf der König von seinem Thron einige
Schritte vorwärts kam, eine Bewegung wie zum Empfang bezeigte
und dann dem Staatsminister ein Zeichen gab. Darauf nahm man
die Geschenke entgegen, zählte sie auf und legte sie auf den
erhöhten Thronsitz.
Alsdann gab der König dem Staatsminister wiederum ein
Zeichen, worauf dieser im Namen des Königs erklärte: Die von
seiner Majestät, dem großmütigen und edlen Padischah, dem
dschemschedgleichen Fürsten, unserem Herrn, Seiner königlichen
Majestät in reinster Freundschaft erwiesene Festigkeit und
Beständigkeit erkenne er dankbarst an. Indem der Padischah
durch einen besonderen Gesandten dem genannten König
kaiserliche Geschenke sendet, bezeige er offensichtlichst
seine überaus geschätzte Liebe und Zuneigung. Auch er werde
diese Freundschaft, soviel an ihm liege, zu erhalten und zu
bewahren sich mit allen Kräften bemühen. Dass er dies voll
Wahrheit behaupten könne, gehe aus seinen bisherigen
Handlungen hervor.
Möchten wir an unserer Mission freudige Zufriedenheit
gewinnen! Damit fand die Audienz ein Ende, und wir kehrten in
demselben Aufzuge, wie wir gekommen waren, wieder in unsere
Wohnung zurück.
Obwohl von Seiten des Königs für die nach Berlin kommenden
Gesandten anderer Länder keine besonderen Festlichkeiten
veranstaltet zu werden pflegen, wurde doch an jenem Tage zu
Ehren der Hohen Pforte im Auftrage des Königs in unserem
Quartier ein großes Fest arrangiert, wozu einige der ersten
Staatsmänner geladen waren, damit wir uns bekannt machen und
in nähere Beziehungen zueinander treten konnten. So speisten
wir nach unserer Rückkehr aus dem Schloss des Königs mit ihnen
zusammen. Dann kehrte jeder wieder in sein Haus zurück.
Am folgenden Tage wurden wir auf nicht offizielle Weise in
das Palais des ältesten Sohnes, des Kronprinzen, und der
übrigen Söhne des Königs geladen. Bei unserer Ankunft in ihrem
Palais empfingen uns ihre Erzieher (lala) und führten uns in
das Zimmer der Prinzen. Da wir diese stehend antrafen, blieben
auch wir stehen und führten so etwas Unterhaltung. Darauf
kehrten wir wieder in unsere Wohnung zurück.