Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Aus dem Schah-nameh

Kai Chosrus Heimgang

Nach längerer segensreicher Regierung wird Kai Chosru, der zweite König von Iran aus der Kajanidendynastie, vom Ekel am Leben erfaßt und beschließt, dem Throne zu entsagen und den Tod zu suchen. Vergebens wollen ihn die Großen des Reiches, die ihn für geistesgestört halten, von seinem Entschlusse abbringen. Er übergiebt das Reich seinem Nachfolger Lohrasv, verteilt Schätze und nimmt Abschied von dem Volke, dem er stets ein edler und liebevoller Herrscher gewesen. Die Erkenntnis des Elends des Daseins erinnert an indische Vorstellungen.

Nachdem er den Lohrasv zum Schah ernannt,
Sprach so zu den Iraniern hingewandt,
Der hehre Chosru: »Früher oder später!
Geht ihr auch, so wie ich, den Weg der Väter!
Da ich nun von der niedern Erde scheide,
So bitt' ich Gott, im Glücke, wie im Leide
Mit euch zu sein!« Gram unterbrach sein Reden!
Mit Thränen Abschied nehmend, küßte jeden
Er auf die Wangen, weinte laut vor Schmerz
Und rief, indem er einzeln an sein Herz
Die Krieger drückte: »Wenn doch Gott vergönnte,
Daß ich euch Wackre mit mir nehmen könnte!«
Wehrufe tönten, gellende, verwirrte,
Vor denen sich die Sonne bang verirrte,
Aus Chosrus Heer, aus Häusern und aus Kammern
Erscholl der Weiber und der Kinder Jammern;
Man hörte Märkte, Straßen, Bazarhallen
Von lauten Klagen um den Schah erschallen,
Sodaß weithin die Erde davor zitterte;
Die Großen in dem Weh, das sie erschütterte,
Zerrissen ihr Gewand, wie sinnberaubt,
Und sanken aus den Boden mit dem Haupt.

Von neuem dann zu den Iraniern sprach
Kai Chosru: »Meinem Rufe folget nach!
Gott dem Gerechten, dem ihr Treue schwurt,
Brecht nie den Eid, ihr Edlen von Geburt
Wie von Gesinnung! So hab' ich gestrebt,
Daß mich ein guter Name überlebt.
Nicht ward der Erde zugewandt mein Sinnen;
Nun führt Serosch, der Engel, mich von hinnen.«

Drauf während Thränen jedermann vergoß,
Bestieg er den Bahsad, das schwarze Roß,
Er kehrte trauernd zu dem Schlosse wieder
Und bog die heilige Cypresse nieder.
Vier Töchter weilten ihm im Frau'ngemach,
Von Antlitz schöner als der junge Tag,
Und niemals noch entschleiert. Diese rief
Er sich heran und sprach: »Nicht allzutief
Beklagt mich, in dem Schmerz müßt ihr euch fassen!
Ich will nun diese flücht'ge Welt verlassen,
Sodaß ich nie euch wiedersehen werde;
Denn müd' bin ich der ungerechten Erde,
Zu Gott geh' ich, dem Allgerechten, Hehren,
Und nimmer werd' ich von ihm wiederkehren.«

Die Töchter schluchzten laut vor Schmerz und Liebe;
Daß ihnen länger nicht der Vater bliebe,
Beklagten weinend sie. Des Trostes bar
Zerrauften jammernd sie ihr Lockenhaar,
Zerrissen ihre Kleider, ihren Schmuck,
Und riefen aus: »Von diesem Leidensdruck,
Von dieser Welt, dem düstern Trauerort,
O Vater, Vater, nimm uns mit dir fort!«
Kai Chosru gab zur Antwort: »Alle reifen
Zum Tod, doch ziemt es nicht, ihm vorzugreifen.
Wo sind die Edlen alle, die noch gestern
Froh atmeten? Wo sind des Dschemschid Schwestern?
Wo ist Ferengis, meine Mutter, nun
Die kühn mit mir durchschnitten den Dschihun.
Und wo die herrliche Mahaferid,
Mit der sich keine maß im Weltgebiet?
Sie ruhn im Staub! doch dunkel ist's für jeden
Ob sie zur Hölle gingen, ob nach Eden.
Vermöchten in die Erde wir zu sehn,
Dann würden ihr Geheimnis wir erspähn;
In ihrem Schoß sind Könige gehäuft,
Mit Kriegerblut ist ihre Brust beträuft.
Von Thränen sei beim Scheiden frei mein Auge,
Daß es den Weg mir klar zu zeigen tauge!«

Dann zu Lohrasp mit schwergebrochnem Laute,
Indem er ihm die Töchter anvertraute,
Sprach er: »Nichts kann, wie sie, mir teuer sein;
Sie schmückten meines Lebens Rosenhain.
In dieser selben Wohnung hege sie!
So lang du lebst, mit Sorge pflege sie,
Damit du dich nicht schämen mögst dereinst,
Damit wenn du vor Gottes Thron erscheinst,
Und Hand in Hand mit Sijawusch ich dir
Entgegentrete, du vor ihm und mir
Bestehen mögst!« Lohrasp versprach, die Töchter
Des Schahs zu hüten als ein treuer Wächter.
Kai Chosru ging, sich rüstend für die Reise,
Zu seinen Großen dann. In ihrem Kreise
Sprach er: »Kehrt jetzt zurück in den Palast!
Verbannt den Schmerz um mich und seid gefaßt!
Empört euch wider Gottes Willen nicht;
Von ihm kommt ja das Dunkel wie das Licht.
Gedenket mein und sprecht von mir nur Gutes!
Seid redlich stets und brav und freud'gen Mutes!
Auf Gott vertrau'nd, lebt froh bis an die Gruft,
Und sträubt euch nicht, wenn er euch zu sich ruft.«

Die Großen Irans senkten vor dem Schah
Die Häupter nieder auf die Erde: »Ewig nah« –
So sagten sie – »soll dieser Rat uns bleiben;
In unsre Herzen wollen wir ihn schreiben!«

Der Schah sprach zu Lohrasp: »Geh du zurück!
Ich lasse nun der Erde Leid und Glück!
Verkläre du hinieden deinen Namen,
Und säe anders nichts als guten Samen.
Du darfst, wenn du auch frisch dich fühlst von Kräften,
An Thron und Schätze doch dein Herz nicht heften,
Denn bald schon wird auch dir der Tag sich trüben
Und bald ruft dich der Weltenherr nach drüben.
Trag' Sorge, daß gerecht dein Handeln sei
Und halte dich von Erdenbanden frei!«
Vom Rosse stieg mit klagender Gebärde
Lohrasp und küßte vor dem Schah die Erde,
Doch dieser hieß ihn freundlich sich ermannen,
Bot ihm sein Lebewohl und ritt von dannen.
Mit Chosru aber zogen als Genossen
Giw, Gustehem und Tus; an diese schlossen
Sich dann noch Guders, Rustem, sowie Sal,
Der siebente war Bischen in der Zahl,
Der achte Feriburs, des Chosru Ohm,
Und hinter ihnen wälzte sich ein Strom
Von Volk, auch folgten von dem Heere viele.
Nach dem Gebirg ging, als dem Reiseziele,
Der Zug. Halt ward gemacht nach sieben Tagen,
Da man den Durst, die Mühsal kaum zu tragen
Vermochte. Jeder Blick war thränenfeucht,
Den Kummer hatte keiner noch gescheucht.
Als über das Gebirg am nächsten Morgen
Die Sonne stieg, da eilten, voll von Sorgen
Und Angst zu Tausenden voll Wehgeschrei,
Iranier, Mann und Weib und Kind, herbei.
Von Klagen, Jammerrufen widerhallten
Die Bergesschluchten und die Felsenspalten.
Ein jeder sprach: »Was hat dein Herz getrübt,
O Schah, ward Missethat an dir verübt?
Hat einer aus dem Volke dich gekränkt,
Daß deshalb dir auf Flucht die Seele denkt,
So sag' es uns und bleib'! Laß, wenn du fern,
Die alte Welt nicht einem jungen Herrn!
Sieh alle uns vor dir im Staube! Teuer
Bist du, o Schah, uns wie das heil'ge Feuer!
Wie kam es, daß dein Geisteslicht erlosch?
Ward etwa Feridun auch durch Serosch
Hinweggeführt? Wir wollen mit Gebeten
An den Altar des heil'gen Feuers treten,
Damit uns Gott vergebe unsre Sünde
Und dir der Weisheit Flamme neu entzünde!«

Unwillig ward der Schah, der dies vernahm
Und sagte zu den Klagenden: »So Gram
Wie Bitten sind hier übel angebracht,
Denn wohl hab' ich mein Handeln überdacht.
Nichts hülf' es, wenn ihr mir den Weg versperrtet,
Drum laßt mich, seid im Herzen nicht verhärtet
Und nicht mit Gottes Schickung mißvergnügt.
Nein, dankt ihm, daß er alles so gefügt!«
Dann sprach er zu den Großen so: »Nun kehrt
Aus dem Gebirg' zurück, denn lange währt
Noch meine Reise über wasserlose
Erdstriche; keine Bäume, ja kaum Moose
Sind dort zu finden auf dem dürren Sand,
Nur schwer hält man so vielen Mühen stand.
Drum zieht nicht mit mir auf der weiten Fahrt,
Damit ihr euch den Hin- und Rückweg spart.«

Drei von den Pehlewanen folgten weise
Dem Rate, Rustem, Sal, sowie der greise,
Erlauchte Guders; in die Ebne kehrten
Sie heim. Allein die übrigen Gefährten
Giw, Feriburs und Tus, die thatenreichen,
Und Bischen, wollten von dem Schah nicht weichen;
Sie zogen eine Nacht und einen Tag
In wüsten Gegenden, viel Ungemach
Ertragend, noch mit ihm; doch dann bemerkten
Sie einen Quell; daß sie durch Trank sich stärkten
Und sich erquickten, stiegen sie zur Stelle
Hernieder an den Rand der klaren Quelle.
Und Chosru sprach: »Hier werde diese Nacht
– Es ist ein guter Rastort – Halt gemacht!
Genug trug ich der Mühsal und der Wehen;
Doch morgen wird kein Auge mehr mich sehen.
Sobald die Sonne ihr Panier entrollt
Und diese Quelle färbt mit ihrem Gold,
Dann wird, wenn dem, was mir Serosch enthüllt,
Ich glauben darf, das Schicksal mir erfüllt.
Wenn jetzt mein Herz vor diesem Wege bebte,
Trüb' wär' das Leben, das ich fürder lebte.«

Als dann das Dunkel anbrach, warf der Schah
Sich auf die Knie; betend lag er da,
Wusch Haupt und Brust sich in dem Quell, dem reinen,
Und betete zu Gott, dem Ew'gen, Einen.
Drauf sprach er zu den Helden: »Lebt für immer
Nun wohl! Auf Erden treffen wir uns nimmer.
Wenn sich die Sonne hebt am Himmelssaum,
Dann seht ihr mich nicht anders als im Traum.
Kehrt ihr auch morgen heim! in diesen dürren
Erdstrichen dürft ihr fernerhin nicht irren.
Ein Sturm wird vom Gebirge, ein Orkan,
Die Zweige von den Bäumen brechend, nahn,
Die Wolken werden dichte Flocken schnei'n,
Den Weg zu finden wird unmöglich sein.«

Den Helden füllte sich das Herz mit Kummer,
Und trauernd streckten sie sich hin zum Schlummer.

Als ob den Bergen in den Morgenstunden
Die Sonne stieg, da war der Schah verschwunden.
Die Großen suchten ringsum ihn und spähten,
Ob in dem Sande, den sein Fuß betreten,
Sich nirgendwo ein Zeichen von ihm fände;
Sie forschten in der Wüste; doch am Ende,
Da von Kai Chosru keine Spur zu schauen,
Nichts zu erspäh'n war, gingen sie mit Grauen,
Betrübt und nicht begreifend das verworr'ne
Geschick, von neuem zu dem Wasserborne.
Der hehre Schah war an der Quelle Borden
Von dieser Welt hinweggenommen worden.
»Wie er vorausgesagt, ist er geschieden« –
Sprach Feriburs – »mit seinem Geist sei Frieden!
Doch uns ziemt nun, zur Heimkehr aufzubrechen!«
Die andern aber huben an zu sprechen:
»Weich ist der Boden, warm die Luft und hell,
Und müd' sind wir, was scheiden wir so schnell?
Wir wollen ruhen, Speisen erst genießen
Und ehe wir zum Aufbruch uns entschließen,
Nochmals zur Quelle gehn!« – Drauf stiegen wieder
Sie zu dem Rand der klaren Quelle nieder.
Noch lange von Kai Chosru sprachen sie;
Auf Erden sah man solches Wunder nie,
Und keine Kunde hat man je empfangen,
Daß solcher Art ein Schah dahingegangen.
Ach! um den Hehren, den Gewaltigen,
Den Einsichtsvollen, Hochgestaltigen,
Daß er zu Gott, nicht tot, nein, noch lebendig
Gegangen sei, kaum glaubt es, wer verständig!
Was soll man, daß aus ihm geworden, denken?
»Wird man dem, was wir künden, Glauben schenken?«
Giw sagte zu den andern: »Irans Länder
Seh'n nie mehr einen gleichen Segenspender;
Den Freunden hold, ein Schrecken seiner Feinde,
War er der Hort und Schirm der Weltgemeinde;
Im Kampf ein Elefant, der nichts verschont,
Beim Feste milde leuchtend, wie der Mond.«

Von Speise, was sich fand, genossen sie,
Und dann zum Schlaf die Augen schlossen sie.
Auf einmal brach ein Sturm herein, der Bogen
Des Himmels ward von Wolken schwarz umzogen,
Schnee fiel; weiß wie ein Segel ward die ganze
Erdfläche; kaum noch ragte eine Lanze
Daraus hervor, die Ritter wurden alle
Vom Schnee begraben, der in dichtem Falle
Herniederstob; sie lagen brunnentief
Versenkt; erst regte noch, indem er schlief,
Sich einer wohl, doch endlich widerstanden
Sie nicht und ihre Lebensgeister schwanden.

Adolf Friedrich von Schack

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