Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Aus dem Schah-nameh

Sal und Rudabe

Der Stoff dieses Gedichtes bietet mancherlei Anklänge an »Romeo und Julie«, schließt aber versöhnlich mit der Vermählung des Liebespaares, welches durch seine Standhaftigkeit und Ausdauer alle feindlichen Kräfte, die sich gegen seine Verbindung zusammengethan, überwindet. Sal, der Sohn Sams, Tributfürst Irans, kommt auf einer Reise an den Hof des Königs von Kabul, Mihrab, welcher wiederum als Vasall Zins und Schoß an Sabul, das Reich Sams und Sals, zu entrichten hat. Mihrab, als Abkömmling Sohaks, des Ahnherrn des Turanischen Regentenhauses und »Götzenanbeter«, gehört zu dem den Iranern verhaßtesten Geschlecht. Der Kampf zwischen den Nachkommen Sohaks (Turan) und Dschemschids (Iran) bildet bekanntlich den Inhalt des »Königsbuches«. So bäumt sich denn der Jahrhunderte alte Haß auch auf gegen eine Vereinigung von Sal, dem Iraner, und Rudabe, der Turanerin, bis ihn treue Liebe nach langen bitteren Kämpfen überwindet. Sproß der Ehe ist Rustem, der glänzendste Held des Orients, der viel Verwandtes mit Siegfried aufweist. Der folgende Abschnitt behandelt das erste Zusammentreffen des Liebespaares; während der Festlichkeiten, die Mihrab zu Ehren Sals, seines Besuches, veranstaltet, hört dieser von den Reizen Rudabes sprechen und wird durch die Schilderung mit tiefer Schwermut und Sehnsucht erfüllt. Auch Rudabe vernimmt das Lob des Fremden.

Einst, als der Morgen des Palastes Dächer
Beschien, ging Mihrab in die Frau'ngemächer,
Weil nach der Gattin Sindocht ihn verlangte
Und nach der Tochter Rudabe. Hell Prangte
Der Frauensaal, der seine Lebenswonnen
Umschloß von diesen beiden lichten Sonnen;
Voll Duft und Glanz und farb'gen Schilderei'n
Verglich sich das Gemach dem Frühlingshain.
Bewundernd vor der Tochter stand Mihrab,
Des Himmels Huld fleht' er auf sie herab,
Denn mit dem Hauptschmuck sah sie, hell und reich,
Der vollmond-überstrahlten Ceder gleich,
Antlitz und Kleider stritten gegenseits
An Pracht, sie war ein Paradies an Reiz.
Sindocht, die Lippen öffnend, daß die klaren,
Die perlenweißen Zähne sichtbar waren,
Sprach zu dem König so: »Wie geht's dir heute?
O daß dich immer neues Glück erfreute!
Erzähl' doch von Sams weißgelocktem Sohn!
Denkt an das Nest er oder an den Thron?
Ist mannhaft er gesinnt, liebt er den Ruhm?
Strebt er nach Waffenwerk und Heldentum?«
»O Silberbus'ge, du mein Mond!« – erwiderte
Mihrab – »Cypressenschlanke, Schöngegliederte!
Es wagt dem Sal auf seinen kühnen Bahnen
Zu folgen keiner aller Pehlewanen.
Die Kunst des Malers selbst vermag in Bildern
Nicht solche Anmut, solche Kraft zu schildern;
Er ist ein Leu bei feindlicher Begegnung,
Allein dem Freund ein Nil an Huld und Segnung;
Im Kampfe hoch zu Roß die Häupter mäht er,
Vom Throne Gold und Perlen ringsum sä't er.
Wie Tulpen blühn die Wangen ihm; sein Glück
Ist jung wie seine Jahre, hell sein Blick;
Wenn er auf seinem Roß zum Angriff sprengt,
Gleicht er dem Drachen, dessen Hauch versengt;
Die Erde macht er bluten, wenn er haßt,
Wer seinen Dolch von fern sieht, der erblaßt.
Der einz'ge Fehl an seines Leibes Adel
Ist weißes Haar, und doch verstummt der Tadel,
Denn lieblich stehn die Locken ihm, die weißen,
Und scheinen mehr das Herz noch hinzureißen.«
Als Rudabe dies Wort vernahm, erglühte
Ihr Antlitz hoch wie die Granatenblüte;
Zu Sal die Liebe flammte hell und loh
In ihr empor, so Rast wie Ruhe floh
Aus ihrer Seele; die Vernunft vermochte
Nichts, da die Leidenschaft sie unterjochte. –
Mit Recht that solchen Spruch ein Menschenkenner;
»Erwähne vor den Frauen nie der Männer,
Denn da ihr Geist der Diwe Wohnung ist,
Verführt sie solche Rede gleich zur List!« –

Fünf Dienerinnen, ihr so treu wie je
Nur eine Sklavin, hatte Rudabe;
Zu diesen sprach sie: »Hört, was für ein Kummer
Von mir die Ruhe scheucht und nachts den Schlummer,
Denn meinem Denken seid ihr, meinem Sinnen
Vertraut und mir im Leide Trösterinnen!
Euch Fünfen will ich alles offenbaren,
Doch das Geheimnis müßt ihr wohl bewahren!
Mein Herz, bewegt von Liebe, tobt und stürmt,
Wie wenn das Meer die Flut gen Himmel türmt;
Für Sal die Neigung macht mich bleich und krank,
Sein denk' ich selbst, wenn ich in Schlummer sank,
Geist, Herz und Seele hat er mir erfüllt,
Bei Licht und Dunkel schwebt mir vor sein Bild!
Jetzt, meine lieben Freundinnen, vergönnt
Mir euren Rat und helft mir, wenn ihr könnt!
Euch nur, weil ihr mich liebt von Herzensgrund
Und klug seid, thu' ich dies Geheimnis kund!«

Die Dienerinnen hörten ganz verstört,
Daß solch ein Wahn der Herrin Sinn bethört;
Angstvoll umher im Saale liefen sie
Und wie mit einer Stimme riefen sie:
»O aller Fürstentöchter Krone du,
Gepriesene in jeder Zone du!
Du Erste der in Hind (Indien) und Tschin (China) Gefeierten!
Du Edelstein im Saale der Verschleierten!
Du, deren Wuchs Cypressen nicht erreichen,
Vor deren Glanze die Plejaden bleichen!
Du, deren Bild man nach Kanudsch gesandt,
Nach Mai, in Indien. ja in das ferne Abendland!
Ist deinem Antlitz alle Scham denn fern?
Scheust du nicht deinen Vater, deinen Herrn,
Den, welchen Sam verstieß von seiner Brust,
Sprich, den ans Herz zu drücken, hast du Lust?
Ihn, den ein Vogel hat im Nest gepflegt,
Ihn, der von Gottes Zorn ein Brandmal trägt?
Nie war vor ihm ein greises Kind geboren,
Und zeugt er eins, so ist's zu Schmach erkoren!
Du mit Korallenmund und Moschushaar
An einen Greis vermählt – welch seltnes Paar!
Mit deinem Bild ist jedes Haus geschmückt,
Ein jeder, den du anschaust, ist beglückt.
Die Sonne muß vom vierten Himmel droben
Herniedersteigen, sich dir zu verloben.«

Der Fürstin Herz erglomm bei dieser Rede
Vor Zorn, wie Feuer in dem Wind; auf jede
Der Dienerinnen drohende Blicke sandte sie,
Ihr Auge ward getrübt, das Antlitz wandte sie,
In Falten schwer zog sie die Stirn zusammen
Und sprach, die Wange glüh'nd vor Zornesflammen:
»Umsonst wär', daß ihr Widerstand versuchtet!
Was hör' ich eine Rede, die nichts fruchtet?
Da sich mein Herz zu einem Stern verirrt,
Glaubt ihr, daß ihm der Mond gefallen wird?
Wer sich in eine Handvoll Staub verliebt,
Verschmäht den Rosenstrauß, den man ihm giebt;
Wem Essig Linderung der Qual gewährt,
Dem wird durch Honig nur der Schmerz vermehrt.
Nach Chinas König lebt kein Wunsch, kein leiser
In mir, noch nach des Abendlandes Kaiser.
Der Leu, der nie im Kampf erblassende,
Sal, ist der einzig für mich Passende.
Ob man ihn Greis nun oder Jüngling nennt,
Mein Herz, das Glück und Ruh in ihm nur kennt,
Gönnt keinem Platz als ihm in meiner Seele;
Daß man von keinem andern mir erzähle!
Nie sah ich ihn; durch das, was ich vernommen
Allein ist mir das Herz in Lieb' entglommen;
Nicht lieb' ich seine Schönheit, seine Jugend,
Nein, seine Tapferkeit allein und Tugend.«

Klar war alsbald den Sklavinnen der Schönen,
Was vorgegangen, und sie zu versöhnen
Versuchten sie: »Dir einzig leben wir« –
So riefen sie – »Dein Glück erstreben wir!
Gieb uns Befehl! Wir werden uns schon rühren,
Und tummeln, daß wir ihn nach Wunsch vollführen!«
Und eine sagte: »O Cypressenschlanke,
Geheim verborgen bleibe dein Gedanke!
Ich wünschte, alle wären deinem Plan
Gewogen und gleich uns, dir zugethan.
Willst du, daß wir die Welt mit Zauberkräften
Einschläfern, mit geheimnisvollen Säften,
Wohl! Mit den Vögeln fliegen wir geschwinde,
Wir wagen einen Wettlauf mit der Hinde
Und holen dir den Fürstensohn herbei,
Damit er deiner Füße Schemel sei!«

Ein Lächeln auf Rubinenlippen zeigend,
Die Safranwange zu der Sklavin neigend,
Sprach Rudabe: »Wenn dir die List gelingt,
So ist ein Baum gepflanzt, der Früchte bringt;
Rubine werden an den Zweigen sprießen,
Und Klugheit wird die Freudenfrucht genießen.«

In Schnelle gingen fort die Dienerinnen,
Und säumten nicht, auf eine List zu sinnen.
In Seide Rums, so schön sie nur vermochten,
Sich kleidend, Rosen in das Haar geflochten,
Enteilten sie zum Flusse, dessen Strand
Voll Farb' und Duft, in Frühlingsblüte stand.
Dort hatt' im Ferwerdin, Frühling. den ersten Tagen
Des Jahres, Sal sein Lager aufgeschlagen,
Und an des Flusses andrer Seiten nahten
Die Sklavinnen durch frühlingsgrüne Saaten.
Sie pflückten Rosen längs des Uferrandes,
Und eilten, in den Falten des Gewandes
Die Blumen bergend, suchend hin und her.

Bald hatte, denn sie waren fern nicht mehr,
Sie Sal aus seinem prächt'gen Zelt gewahrt,
Und fragte nach den Mädchen hold und zart,
Da hieß es: »Aus dem Schloß, wo Mihrab thront,
Hat Rudabe, so scheint es, Kabuls Mond
Die Dienerinnen, die man dort erblickt,
Zum Rosenpflücken an den Bach geschickt.

Sal, als er jenen Namen hörte, bebte;
Der Liebe voll, die ihm im Herzen lebte,
Ließ er das Zelt, nahm einen Sklaven mit,
Und wie er dichter hin zum Ufer schritt,
Und näher schaute die Cypressengleichen,
Gebot er, einen Bogen ihm zu reichen.
Zu Fuße gehend, so wie Jäger pflegen,
Sah er im Schilf sich einen Vogel regen,
Erhob den Bogen, den ihm der gewandte,
Der jugendliche, schöne Sklave spannte,
That einen Schrei, den Vogel aufzuschrecken,
Und schoß, um seine Beute hinzustrecken.
Sich drehend fiel das Tier herab, getötet,
Das Wasser ward von seinem Blut gerötet.
»Geh', Freund« – rief Sal – »ans andre Ufer fliege,
Daß ungenutzt nicht dort die Beute liege!«
Auf einem Kahn zum Jenseitsufer schifft
Der Sklav, wo er alsbald die Mädchen trifft,
Und ihrer eine sich zu ihm gesellt.
»Wer Mondgesicht'ger – spricht sie – ist der Held
Da drüben? Wo sind seines Reiches Marken?
Wie nennen sie den Löwengliederstarken?
Kann gegen einen solchen Bogenschützen
Der Widerstand wohl seinen Feinden nützen,
Da er den Pfeil so kühn, so sicher warf,
Daß keiner sich mit ihm vergleichen darf?«
Der Sklave mit dem Periantlitz beißt
Die Lippe sich, und giebt zur Antwort: »Weißt
Du nicht, daß Sal es ist, der Nimrusprinz,
Sohn jenes Sam, dem Kabul als Provinz
Von Sistan Zins giebt? Stattlich, schlank gebaut
Ist er, wie keinen sonst die Sonne schaut.«
Das Mädchen sprach mit lächelndem Gesicht,
Als sie dies hörte: »Rede also nicht!
Mit Mihrabs Tochter, ragend wie Cypressen,
Kann sich an schlankem Wuchs dein Herr nicht messen;
Weiß ist wie Elfenbein sie, zart von Hüfte,
Aus ihrer Krone strömen Moschusdüfte;
Heiß blitzt aus dunklen Brau'n ihr Aug' hervor,
Die feine Nase gleicht dem Silberrohr,
Eng ist ihr Mund wie ein betrübtes Herz,
In Ringeln wallt ihr Haupthaar niederwärts,
In ihrem Blick ruht schmachtendes Verlangen,
Wie Tulpenfluren blühen ihre Wangen,
Von ihrer Lippe weht der Hauch des Lebens,
Du suchtest eine, die ihr gleicht, vergebens.
Vom Königsthrone Kabuls kommen wir,
Zum Fürstensohne Sabuls kommen wir,
Um ihre Lippen von Rubin den seinen,
Um unsre Herrin deinem Herrn zu einen.
O daß doch unser Wunsch Erfüllung fände,
Daß bald mit Sal sich Rudabe verbände!«
Rot ward der Sklav', der schöngesichtige,
Als diese Botschaft er, die wichtige,
Vernahm. Er sprach: »Wohl passend muß ich's finden,
Daß sich die Sonne und der Mond verbinden.
Will das Geschick zwei Wesen glücklich machen,
So läßt es Lieb' in ihrer Brust erwachen,
Und will es die Verbundnen wieder scheiden,
So trennt es sie in Trübsal und in Leiden.
Wer seine Gattin wohl bewahren will,
Der hütet sie im Frau'ngemache still,
Und Töchter läßt man, um sie zu bewahren,
Nichts, was sie irgend locken kann, erfahren!
Ein Falke, der sein Nest behütete,
Sprach zu der Falkin, als sie brütete:
Kein Weibchen brüte mir aus diesem Ei,
Damit mein Leben nicht verbittert sei.«
Der Sklav' ging lächelnd zu dem Herrn,
Sal warf auf ihn mit Neubegier den Blick
Und sprach: »Warum von ihrer Antwort schweigst du?
Warum mit Lächeln deine Zähne zeigst du?
Nachdem der Sklav' ihm alles dann berichtet,
Ward plötzlich seines Kummers Nacht gelichtet;
Er rief: »Hin zu den Mädchen mußt du eilen,
Damit sie auf der Rosenflur noch weilen!
Sag' ihnen: »Leicht wohl mag es euch gelingen,
Noch Schätze mit den Rosen heimzubringen;
Eh ihr zum Schlosse kehrt von diesen Auen,
Will Sal euch eine Botschaft anvertrauen.«
Der Jüngling wählte Perlen, Gold, Geschmeide
Aus seinem Schatz und reichgestickte Seide,
Und hieß den Sklaven gehn, die Kostbarkeiten
Vor jenen Dienerinnen auszubreiten.
Nochmals zum Rosenplatze flog der Knabe,
Bot holden Worts den Mädchen dar die Gabe
Und sagte: »Dies wird euch von Sal geschenkt;
Er wünscht, daß freundlich seiner ihr gedenkt!«
Sodann sprach von den Sklavinnen die eine
Zum Boten: »Ein Geheimnis, wie ich meine,
Paßt nur für zwei, teilt man es mit an mehrere,
So wird auch die Bewahrung eine schwerere.
Selbst also – alles andre ist Verwegenheit –
Vertraue Sal mir seine Angelegenheit!«
Die Mädchen riefen alle aus entzückt:
»Der Löwe geht ins Netz, es ist geglückt!
Zu Trefflichem hat unsre List gefrommt,
Wenn Sal mit Rudabe zusammenkommt!«

Der Knabe ging indes, der schwarzgeaugte,
Der gut zu solchem Liebeshandel taugte,
Zu Sal zurück und sagt ihm Laut für Laut,
Was ihm die kluge Sklavin anvertraut.
Und Sal, dem Boten folgend, seinem Rufer,
Begab sich selbst nun an das andre Ufer.
Die Perischönen sah'n ihn näher treten,
Und beugten sich, wie um ihn anzubeten.
Der Jüngling, seinem Drange zu genügen,
Befragte sie nach Antlitz, Wuchs und Zügen
Der Rudabe, nach ihrem Sinn und Geist;
Denn daran lag vor allem ihm zumeist,
Zu wissen, ob sie seiner würdig wäre;
Er sprach: »Sagt mir die Wahrheit, denn auf Ehre,
Zumessen werd' ich euch den Lohn nicht karg,
Wenn ihr mir kündet alles ohne Arg;
Allein betrügt ihr mich, so sollt ihr's büßen,
Zerstampft von meiner Elefanten Füßen!«
Die Mädchen, hocherrötend bei den Fragen,
Verneigten tief zur Erde sich mit Zagen,
Die eine sprach, die jüngste unter ihnen,
Der Rede kundig und von holden Mienen,
Zu Sal: »Kein Fürst hat je ein Kind gezeugt,
Und keine Mutter eines je gesäugt,
Das nicht dem Sal an hohem Wuchse wiche,
Das ihm an Geist und Mut und Weisheit gliche;
Doch wenn ein andres Wesen noch ihm gleicht
An Wuchs, Gestalt und Anmut ihn erreicht,
So ist es Rudabe, die Duftverbreitende,
Die Silberbusge, mit Cypressen Streitende;
Mit Rosenglut Jasminenglanz vereint sie,
Wie Jemens Wunderstein Soheil erscheint sie;
Wein glaubst du, träuft ihr vom Lippenpaar
Und lautrer Ambra ist ihr dunkles Haar,
Von ihres Hauptes Silberkuppel wallt
Es netzgleich um die liebliche Gestalt;
Durch Moschusduft wird, daß sie naht, verraten,
Ihr Leib strahlt wie Rubinen und Granaten;
Wie Panzermaschen, Ringe neben Ringen
Siehst du sich ihre Locken dicht verschlingen;
Kein Götzenbild von Tschin (China) ist so voll Zier,
Der Mond und die Plejaden huld'gen ihr!«
Der Fürst vernahm, was zu der Herrin Preise
Die Sklavin sprach, und, also sanft und leise,
Gab er zur Antwort: »Zeig' mir an den Weg,
Daß ich mit ihr erlang' ein Zwiegespräch,
Denn Geist und Herz entflammt die Liebe mir,
Säh' ich sie nicht, kein Hoffen bliebe mir;«
Die Sklavin sprach: »O Fürst, zum Schlosse kehren
Wir nun, wenn du Erlaubnis willst gewähren.
Befürchte nichts, wir stellen dich zufrieden!
Wir wollen Listen spinnen, Ränke schmieden,
Und Rudaben so viel von Salser schwätzen
Und seinen Reizen, daß in unsern Netzen
Ihr Moschushaupt sich wahrlich fangen soll,
Und dein Mund bald an ihrem hangen soll.
Geh' du, o Fürst, mit nächstem mutig nur
Vor den Palast und wirf die Fangeschnur
Aufs Dach, sie an der Zinne festzuknüpfen –
Dann wird das Lamm dem Löwen nicht entschlüpfen;
So lang du willst, magst du sie dann betrachten,
Und unser denken, die solch Glück dir brachten.«

Zum Zelte kehrte Sal zurück; ein Jahr
Schien ihm die Nacht, wie kurz sie immer war;
Die Schönen eilten unterdes in Hast
Mit ihrer Rosenernte zum Palast.
Doch als sie Einlaß heischten an der Pforte,
Sprach voll von Zorn der Pförtner solche Worte:
»Lang seid ihr aus dem Schlosse ausgeblieben;
Was mag der Grund sein, der euch fortgetrieben?«
Die Schönen standen bebend und erschrocken,
Und gaben solche Antwort ihm mit Stocken:
»Heut ist ein Tag, wie alle andern Tage,
Und keine Diwe sind im Rosenhage,
Der Lenz ist da, wir gingen, um Violen
Und Rosen von den Feldern uns zu holen.«
Der Pförtner sprach: »Nicht mehr ist jetzt gestattet,
Wozu ihr sonst wohl die Erlaubnis hattet,
Eh Sal mit seinen Rittern zum Besuch
In unsrer Nähe seine Zelte schlug;
Oft reitet Kabuls König, wie ihr wißt
Zu Sal, mit dem er sehr befreundet ist;
Wenn er euch so mit euren Rosen sähe,
Was glaubt ihr wohl, das euch alsdann geschähe?«
Die Schönen traten ein und setzten sich
Zu Rudabe und sprachen: »Sicherlich
Verdient er, daß er eine Sonne heiße,
Der Rosenwangige, der Lockenweiße!«
Noch mächtiger ward nun der Jungfrau Sehnen
Ihn bald zu sehn, ihr Haupt an seins zu lehnen,
Und während jene die Geschenke brachten,
That Rudabe der Fragen viel mit Schmachten:
»Sagt, wie ist Sal, was schaffet mehr Entzücken,
Nur von ihm hören oder ihn erblicken?«

So redeten, nachdem sie noch zuvor
Geforscht, ob irgend lauscht ein fremdes Ohr,
Die Perischönen: »Aus der Holden Mitte
Ragt Sal vor allen hoch an Würd' und Sitte,
Der Fürsten Fürst, cypressenwuchsgestaltig,
Ist er, an Macht und Majestät gewaltig;
Sein Auge strahlt, wie glänzende Narzissen,
Korallenlippig lockt sein Mund zum Küssen.
Dem Leu'n gleicht er an Kraft, in Jugendfrohheit
Vereint er Mobedweisheit, Königshoheit;
Kein Fehler ist es, daß sein Haupthaar weiß,
Es steigert nur noch seiner Schönheit Preis;
Sein Haargelock fällt auf die Wangen lose,
Wie Silbermaschen über eine Rose;
Wenn du ihn sähst, du sprächst: »So muß er sein!«
Und sollt' er anders werden, sprächst du: »Nein!«
Froh war er, als wir ihn verlassen haben,
Weil wir ihm Hoffnung, dich zu sehen, gaben.
Ersinn' ein Mittel, ihn zu treffen nun!
Was, sag' uns, haben wir ihm kund zu thun?«
Die Fürstin sprach: »Ei, gar nicht so gesinnt
War't ihr zuvor! Der Wechsel kam geschwind!
Sal, den ihr gestern Greis und alt gescholten,
Der euch als Vogel-Zögling nur gegolten,
Ist rosenwangig nun, voll Heldenkraft
Geworden, schlank wie ein Cypressenschaft!
Ihr habt vor ihm mein Angesicht gepriesen
Und seine Gaben nicht zurückgewiesen!«
Sie sprach es lächelnd, Röte überflog
Ihr schönes Angesicht, ihr Herz schlug hoch.
Zu einer Sklavin sagte Rudabe
Dann leis' und im Vertrau'n: »Heut abend geh!
Für diese Botschaft traf dich meine Wahl!
Geh zu den Zelten hin und sprich zu Sal:
»Gewährt ist dein Verlangen, zögre nicht!
Erblicken sollst du deines Mondes Licht!«
Zur Herrin sprach die Sklavin: »Triff nur klug
Die Vorbereitungen zu dem Besuch!
Erfüllung wurde deinem Wunsch gespendet;
Gott gebe, daß die Sache glücklich endet.«

Sofort begann, jedoch geheim den Ihren,
Die Fürstin alles für das Fest zu zieren.
Ihr Schloß, das herrlich gleich dem Frühling strahlt,
Mit Bildern großer Helden ausgemalt,
Läßt sie mit Chinas Goldbrokat behängen,
Läßt Wein mit Moschus und mit Ambra mengen,
Stellt goldne Schalen auf durch alle Zimmer,
Streut Edelsteine aus von reinem Schimmer,
Und schmückt mit Rosen, funkelnd gleich Rubinen,
Das Haus, mit Lilien, Tulpen und Jasminen;
Hell funkelten die Becher von Topasen,
Von Rosenwasser dufteten die Vasen,
Und aus dem Schloß der Sonnengleichen schlug
Zum Sonnenball empor der Wohlgeruch.

Nacht waltete bereits am Himmelsbogen,
Des Schloßthors Schlüssel waren abgezogen,
Da trat die Sklavin hin zum Sohn des Sam
Und sprach: »Komm! lindre deinen Seelengram!«
Der Jüngling eilte zu dem Schlosse still,
Wie's ziemt, wenn man zum Liebchen gehen will. –

Die Schöne harrte auf des Daches Gipfel;
Dem vollmondüberstrahlten Cedernwipfel
War sie, die Rosenwangige, vergleichbar.
Kaum wurde Sal für ihren Blick erreichbar,
Da, nach ihm schau'nd, rief sie mit sanftem Ton
Ihm zu: »Sei mir willkommen, Heldensohn!
Gott schütze dich! nimm meine Segensgrüße!
Der Himmel sei der Boden deiner Füße!
Heil meiner Sklavin, denn mein Auge findet
In dir denselben, den sie mir verkündet!
Zu Fuß von deinem Zelt kamst du herüber,
Bist du nicht müd' vom Gang? o sage, Lieber!«

Als Sal aufsah bei diesem weichen Laute
Und auf dem Dach die Sonnengleiche schaute,
Die einen hellen Schimmer rings entfachte,
Und wie Rubin die Erde strahlen machte,
Da rief er aus: »Heil, daß wir uns begegnen!
O Schöngesicht'ge, möge Gott dich segnen!
Wie oft, den Blick zum Nordstern hingewendet,
Hab' ich nach dir nicht Seufzer ausgesendet,
Wie oft rief ich den Himmel an mit Flehen,
Daß er mir gönnte, dein Gesicht zu sehen!
Nun durch dein Wort, so freundlich und so hold,
Beglückst du mich; nur dies hab' ich gewollt!
Doch ich hier unten, du dort auf dem Dach –
Das geht nicht an; sinn' einem Mittel nach,
Daß ich hinauf gelange!« – Mit der Rechten
Band Rudabe die nächtig schwarzen Flechten
Auf ihrem Haupte los; mit Moschusdüften
Umwogten die gelösten ihre Hüften,
Die Locken ließ sie, Schlangen neben Schlangen,
Vom Dache bis zur Erde niederhangen.
Sal, unten stehend, sagte: Alles Heil
Sei dir, o Schönste! giebt's ein bess'res Seil?«

Und Rudabe rief ihm von oben zu:
»O Pehlewanensohn, was zögerst du?
Entschließe dich! erhebe deine Hände,
Du Mann von Löwenbrust! Am einen Ende
Ergreif' mein Haar! Klimm' aufwärts mit Geschick!
Ich biete mich dir selbst zum Fangestrick!«
Sal, staunend ob den Worten, die sein Ohr
Vernahm, sah zu dem Mondgesicht empor,
Und küßte inbrunstvoll ihr Moschushaar,
Sodaß der Kuß ihr oben hörbar war;
Dann sprach er: »Nein, nicht so! Das ziemt sich nicht!
Den Tag bescheine nicht das Sonnenlicht,
Wo ich die Hand an dich, o Schönste, lege,
Und der schon Herzenswunden Schmerz errege.«
Die Fangeschnur, vom Sklaven ihm gereicht,
Warf er empor, worauf geschickt und leicht,
Da sich um einen Turm die Fangschnur schlang,
Er zu des Daches Zinne auf sich schwang.

Die Perischöne, als er oben Fuß
Gefaßt, trat auf ihn zu mit holdem Gruß,
Sie sanken Arm in Arm, in Lust versunken,
Und stiegen beide dann, von Liebe trunken,
Hinunter in den prächtigen Palast.
Den Jüngling, dessen Hand sie freundlich faßt,
Führt Rudabe zum goldgeschmückten Saale,
Dem Eden-gleichen, wo mit hellem Strahle
Die Fackeln flammten und in Prachtgewanden
Die dienstbereiten Dienerinnen standen.
Tief staunte Sal, als er die Schöngebaute,
Die Schöngesichtige bei Lichte schaute;
Mit Perlen, Edelsteinen, Armgespängen
War sie geziert und goldnen Ohrgehängen,
Auf weißem Grund glomm ihre Wangenröte,
Wie Tulpen über einem Lilienbeete.
Sal, mit dem reichen Wehrgehäng' geschmückt,
Die Krone von Rubin aufs Haupt gedrückt,
In Königszierde strahlend alle Glieder,
Ließ sich an jenes Mondes Seite nieder;
Die Fürstin ward, den Blick auf ihn zu heften
Nicht satt; sie sah den Arm von Riesenkräften
Bewundernd an, der mit dem Keulenschlag
Den härtsten Felsen, wie ein Reis zerbrach;
An seiner Wange zündete im Herzen
Sich ihr ein Feuer an, so wie an Kerzen;
Sal sank ihr an den Busen, Küsse tauschend,
Im süßen Wein der Liebe sich berauschend,
Und so sprach er zu ihr: »O Mondengleiche,
Du Silberbus'ge, Moschusdüftereiche!
Gelangt zu Sam, ich ahne schon dies alles –
Zu Schah Minutschehr Kunde dieses Falles,
So werden beide sie der Gottvergessenheit
Mich zeihn, mich zücht'gen für Vermessenheit;
Doch flüchtig ist und wertlos nur das Dasein,
Nicht zagt der Tapfre vor des Todes Nahsein.
So schwör' ich denn vor Gott, nie mein Versprechen
Der Treue gegen dich, o Weib, zu brechen,
Nie gegen dich die Pflicht zu übertreten.
Wie Fromme will ich zu dem Ew'gen beten,
Daß Sams Gemüt er reinige vom Hasse,
Und in dem Schah den Zorn verschwinden lasse.
Und wenn mich Gott erhört, dann hochbeseligt,
O Rudabe, werd' ich mit dir verehlicht!«

»Auch ich – gab Rudabe zur Antwort – leiste
Beim höchsten Gott mit andachtsvollem Geiste
Den Eidschwur, daß ich keinem je gehöre
(Der Schöpfer mag vernehmen, was ich schwöre!)
Als dir, mein Sal, und daß ich rein und lauter
Dich lieben will, du Herrlicher, du Trauter!«
Mit jedem Augenblick wuchs ihre Liebe,
Im Taumel; die Vernunft ward beiden trübe,
Bis sich im Morgenlicht die Welt erhellte
Und Paukenton herüberscholl vom Zelte.
Zum letztenmal schloß Sal im Abschiedsharme
Die teure Rudabe in seine Arme;
Die Wimpern wurden ihnen feucht vom Leide
Und bittend zu der Sonne sprachen beide:
»Nur einen Augenblick noch, nur noch einen,
O Ruhm der Welt! noch brauchst du nicht zu scheinen!«
Vom Schlosse dann, wo er sein Lebensheil
Gefunden, ließ sich Sal herab am Seil.

Adolf Friedrich von Schack

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