Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Sadi

Kasside

Das Leben ist so schön, doch ach, es währet nicht;
Drum fuß' auf dem, was sich so schnell verzehret, nicht.
Dem Mann, der Fichten gleich im Wuchs, mit stolzem Gange,
Ist ew'ger Jugend Blüt' und Glanz bescheret nicht.
Die Rose, die so frisch in süßem Dufte lächelt,
Weiß die, daß das Bestehn ihr doch verwehret, nicht?
Euch ewig nähren an der Mutter Erde Busen –
Ach! Liebesduft haucht sie nicht aus – begehret nicht,
Geh' unbedacht nicht hin und sorglos gleich dem Schafe,
Der Wolf als Hirte führt dich unversehret nicht.
Daß treulos ist die Welt, bleibt keinem Blick verborgen;
Was jeder sieht, bedarf, daß man's erkläret, nicht.
Wo weht der Frühlingswind befruchtend durch die Fluren,
Daß sie des Herbstes Sturm darauf verheeret nicht?
Gäbst du dahin als Preis der ganzen Erde Reiche,
Um einen Tag wird doch dein Sein vermehret nicht.
O binde nicht dein Herz an diese Herbergsstätte,
Der Wandrer baut ein Haus, das er entbehret, nicht,
Geht auch die Welt nach Wunsch, der Feind doch auf der Ferse;
Ein Ort ist drin, wo man nur Glück erfähret, nicht.
Als Götzendiener bist du in der Form befangen,
Des Wesens Hochgenuß ist dir gelehret nicht.
Der Welt hat der entsagt, wer Gott nur hat zum Freunde,
Daß seiner Freiheit Fuß mit Last beschweret nicht.
Sei auf der Hut, daß dich die Zunge nicht verderbe!
Das Unheil, das die Zung' verschafft, verjähret nicht.
Thu' Thaten, stecke nicht die Fahn auf! prunklos wirket
Der Mann; ein Weg ist, wo er sicher fähret, nicht.
Auf Gottes Wege geh und wo du willst, verweile,
Den Weisen ist zur Zell' ein Ort verwehret nicht.
Zum ew'gen Thron heb' auf die Hand der Not! der Fromme
Hat andres, als daß er zu Gott sich kehret, nicht.
Doch besser thu' es nicht, den Freund nicht zu beläst'gen;
Ein zweiter ist ja, der sich dir bewähret, nicht.
Was nützt der Predigt Guß, der auf die Häupter regnet?
Ein Perlenmund ist, wer mit Ernst bewehret, nicht.
Die Welt hast, Sadi du, durch Wortes Schwert erobert;
Der Himmel gab dir's, sonst wärst du geehret nicht.
So schnell wie sich dein Ruhm in jedes Land verbreitet,
Hat sich des Tigris Strom zum Meer entleeret nicht.
Nicht jedem, der an uns zum Ritter werden möchte,
Gelingt's, denn der Gewalt ist Glück gewähret nicht.
Doch braucht der Moschus nicht des Krämers Lob; der Käufer
Riecht seinen Duft, bedarf, was ihn belehret, nicht.

K. Heinr. Graf.

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