Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Sadi

Aus dem Bostan. Sadi am Grabe seines Kindes.

In Sana war ein Kind mir hingeschwunden;
Was soll ich sagen, was ich da empfunden?
Kein Bild, was Josephschön das Schicksal bringt,
Das nicht, gleich Jonas, Grabes Fisch verschlingt;
Wer kann im Garten hier Cypressen finden,
Die nicht entwurzelt bald von Todes Winden?
Kein Wunder, daß dem Staub die Ros' entsprießt,
Da manche Rose ja der Staub verschließt.
Ich sprach bei mir: »Stirb, du mit Staub bedecket!
Das Kind geht rein dahin, der Greis beflecket.«
Voll Gram und Herzeleid auf seinem Grab,
Riß über ihm den einen Stein ich ab;
Als ich den finstern, engen Ort erblicket,
Ward mir vom Schrecken Farb' und Sinn entrücket;
Als wieder die Besinnung ich gewann,
Hört' ich des lieben Kindes Stimme dann:
»Wenn vor dem finstern Ort voll Graun du stehest,
Sei weise, daß mit Licht hinein du gehest!«
Soll hell sein, wie der Tag die Grabnacht dir,
Zünd' an die Leuchte guter Werke hier.
Der Gärtner zittert wie von Fieberbeben,
Die Palme möchte keine Frucht ihm geben;
Voll Weltlust meint dagegen mancher noch,
Ob er auch nicht gesät, er ernte doch:
Nur wer gepflanzt, wird an der Frucht sich laben,
Nur wer gesät, wird eine Ernte haben.

Karl Heinrich Graf

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