Gedichte im Islam
Kabir Billah

von
Friedrich Rückert

Kabir Billah, hohen Stammes,
Abbaßidischen Geblütes,
Lebt’ im Dunkel sonder Ansehn,
In des kleinen Fürsten Schutze,
Dem die Nabatäer-Sümpfe
Zwischen Eufrat und dem Tigris
Eine unabhängige
Herschaft sichern. Kabir Billah,
Ohne Aussicht auf den goldnen
Stuhl in Bagdad seiner Väter,
Ist zufrieden, zwischen Sümpfen
Der Verfolgung zu entgehn.
Aber einst dem Hebat Allah,
Dem Wesire seines Schutzherrn,
Sagt er morgens diesen Traum:
Zwischen unfernen Morästen
Satand ich draußen, und die Wasser
Liefen um mich an, als wollten
Sie mir keinen Ausweg gönnen.
Aber eine goldne Brücke
Sah ich ferne; wie ich sollet
Hingelangen, wußt’ ich nicht.
Plötzlich trat ein Mann zu mir,
Groß und herrlich, wie eines Riesen
Leicht mich auf die Schulter hob,
Durch die flutenden Gewässer
Mich zur goldnen Brücke trug,
Dort mich niedersetzt’ und sprach:
Ich bin Ali; fürchte nicht!
Auf den Thron erhoben, wirst du
Lange Jahre ihn besitzen;
Sei erkenntlich meinem Stamme!
Kadhir Billah hat das Wort
Kaum vollendet, als von Bagdad
Boten kommen, ihm zu melden,
Daß sein Vorfahr an dem Reiche
Abgesetzt sei, und ei selber
Sei erwählt an dessen Stelle.
Nun beeifert sich der Sümpfe
Fürst, sein Schutzherr, alsobald,
Seinem schnell erhöhten Schützling
Stattliches Geleit zu rüsten,
Und ihn selber zu begleiten.
Selbst Sultan Behaeddulla,
Dessen Willkür jetzt Chalifen
Ein- und absetzt, kommt nach Bagdad,
Feierlich ihn zu begrüßen,
Öffentlich den Eid der Treue
Nach Gewohnheit ihm zu schwören.
Aber Kadir Billah waltet,
(Völlig seines Namens würdig,
Welcher stark in Gott bedeutet)
Bald gewalt’ger waltet er,
Als der Sultan es erwartet,
Größern Ansehns, festern Nachdrucks,
Als seit langer Zeit die schwachen
Sprösslinge des mächt’gen Stammes.
Wie es Ali ihm verheißen,
herrscht er einundvierzig Jahre, -
Einundachzig ward er alt,
Lange Luft und langer Segen
Allen seinen Unterthanen,
Doch vor allen dem Geschlechte
Ali’s war er dankbar hold.
Dieser wars, bei dem Firdußi,
Persien’s berühmter Dichter,
Seiner Heldensage Sänger,
Zuflucht suchte, als aus Gasna,
Unzufrieden mit geringem
Lohne seines großen Werkes,
Er vor Sultan Mahmud floh,
Der, von ihm Verfolger ward.
Wenig fehlte, dass der Dichter
Ursach eines Krieges würde.
Denn der Sultan, der im Osten
Furchtbar bis nach Indien herrschet,
Und mit tausend Elefanten
In das Feld zieht, fordert seinen
Dichter vom Chalifen wieder.
Aber dieser schlug ihn nieder
Durch die Antwort, die er gab,
Durch die Antwort aus dem Koran:
Weißt du nicht, was dort der Herr
That dem Herrn der Elefanten,
Dessen Heere gegen sein
Heiligthum zum Kampf anrannten?
Wie danieder ihre Macht
Schlugen die von Gott gesandten
Vögel, welche Mann für Mann
Aus der Luft mit den gebrannten
Steinen trafen, dass zur Flucht
Schimpflich sie den Rücken wandten?

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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