Gedichte im Islam
Sprach der Prophet

von Dschalaleddin Rumi

«Ich hin für euch, ihr Grollen,
so milde und so gütig wie ein Vater,
weil ihr ja alle Teile von mir seid.
Warum reißt ihr die Teile denn vom Ganzen:
Schneids das Teil vom Ganzen.
ist es nutzlos.
Ein Glied, vom Leih getrennt, ist bald verrottet,
wenn du's dem Leibe nicht nochmals verbindest.
Denn es ist tot und weiß nichts mehr vom Leben
und wenn sich's regt, hat es doch keine Stützen.
Wenn man ein Teil von diesem Ganzen trennt,
ist es nicht mehr das Ganze, sondern Mangel.
Kannst nicht von «Schneiden» und «Verbinden» sprechen -
als Gleichnis war vom «Mangelnden» gesprochen.

Man nannte Ali gleichnishaft auch Löwe
doch ist der Löwe ihm gewiss nicht gleich...

Doch bring von Gleichnis und von Gleichem rasch
zurück uns zu Daquqi, edler Mann!
Er, der des Volks Imam in Rechtsgutachten.
der Engel übertraf an Frömmigkeit.
den Mond mattsetzte durch sein vieles Reisen.
Dess’ Glaubensstärke «Glaube> selbst beneidet. -
Mit solcher Frömmigkeit und Litaneien
suchte er ständig die Erwählten Gottes.
Sein größter Wunsch beim Reisen war dies eine:
Einmal den wahren Gottesmann zu sehen.

So bat er wandernd stets bei seinen Reisen
«Gott! wolle mich zu Deinen Freunden weisen!
O Herr, für jene, die mein Herz schon kennt,
bin ich ein Diener, der gehorsam wirkt,
und die ich nicht gekannt, Herr meiner Seele,
mach sie mir gnädig, mir, der voller Fehle.»
Der Höchste Herr sprach: «O du edler Mann
Was ist denn das für Liebe, für ein Durst?
Du liebst doch Mich - was suchst du andres noch?
Ist Gott mit dir - was suchst du Menschen noch?»
Er sprach: «O Herr, der das Geheime kennt -
du öffnetest dem Herz des Flehens Weg.
Als ich im Meere ganz inmitten saß,
begehrte ich noch Wasser aus dem Krug.
Wie David hab' ich neunzig Mutterschafe,
doch blicke ich nach des Gefährten Schaf!
In Lieb zu Dir ist Gier ja Stolz und Ehre,
doch Schande ist's, dass andres man begehre.
Des Mannes Gier und Leidenschaft strebt vorwärts,
der Katamiten Gier ist Schande und Entehrung.
Die Gier der wahren Männer geht nach vorn,
Bei Katamiten geht die Gier nach hinten.»

Daquqi - Gott erbarme seiner sich -
sprach: «So lang' reist ich durch die Horizonte
in Lieb' zum Mond, reist Monde ich und Jahre.
Ich wusst' die Wege nicht, verwirrt in Gott.
«Du gehst ja barfuß über Dorn und Stein.»
«Ich bin entrückt, bin ohne Mein und Dein».
Blick nicht auf Füße, die auf Erde schmerzen, -
Der Liebende geht sicher auf dem Herzen.
Von Weg und Standort und von kurz und lange,
was weiß sein Herz, berauscht vom Herzenströster?
Denn kurz und lang sind Körper-Eigenschaften;
der Gang des Geistes ist ein andres Gehen.
Du bist gereist vom Samen zum Verstand,
doch ohne Schritt und Gangart oder Stand.
Der Seele Reise ist ganz ohne Wie,
o lerne, Leib, zu reisen so wie sie!
So gab er nun die Körper-Reise auf,
und ging im Ohne-Wie, wenn auch im Wie.

Er sprach: «Ich sehnte eines Tages mich,
zu sehn im Menschen jenes Freundes Licht,
um so ein Meer im Tropfen zu erschauen
und eine Sonne im Atom zu schauen.
Als ich an eine Küstenstrecke kam,
neigte der Tag sich hin zur Abendzeit.
Ich sah von ferne sieben Kerzen dort
und eilte so zu jener Küste hin.
Von jeder einen dieser sieben Kerzen.
da strahlte Licht hold zu des Himmels Zinnen.
Ich ward verwirrt, Verwirrung ward verwirrt,
Verwirrungs-Woge überkam Verstand.
Wie sind denn solche Kerzen wohl entzündet,
dass Menschenaugen sie nicht sehen können?
Die Menschen suchen noch nach einer Lampe
vor Kerzen, die den Mond selbst überstrahlen.
Erstaunlich, wie die Augen so verhüllt sind -
Es hüllte ein, Er, der führt, wen Er will.

Ich blickte wieder, und die sieben wurden
zu einer, deren Licht die Himmel spaltet.
Dann ward die eine Kerze wieder sieben,
mein Rausch und die Verwirrung wurden stärker
Solch eine Bindung zwischen diesen Kerzen
sie war' nicht zu beschreiben mit dem Munde
Nur einen Blick tat unsre Fassungsgabe -
Das Wunder kann mit Zungen man nicht schildern.
Was einmal schaut der nüchterne Verstand
- für Jahre kann das Ohr es nicht verstehen
Denn dieses hat kein Ende - geh und sag:
«Ich kann Dich preisen nie genug, o Herr!»
Ich rannte weiter, um zu sehn - die Kerzen
sind was für Zeichen wohl vom Gottesglanz?
Ich ward bewusstlos und verwirrter wieder
und fiel von Eile und vom Rennen nieder;
ganz ohne Fühlen und Verstand und Sinn
fiel ich im Erdenstaub bewusstlos hin.
Dann kam ich zu mir und so stand ich auf"
ganz ohne Fuß und Kopf in diesem Lauf.

Die sieben Kerzen wurden sieben Männer,
ihr Licht erstrahlte zum azurnen Himmel.
Vor diesem Licht war trüb das Tageslicht.
Ihr Stern vernichtete die andern Lichter.
Dann wurde jeder Mann zu einem Baum,
dess Grün ein jedes Auge glücklich macht
vor Blätterfülle sah man keine Äste,
die Blätter unsichtbar - so reich die Früchte.
Ein jeder Baum war höher als die Sidra.
Die Sidra? Nein, er reichte bis ins Nichts.

Die Wurzel reichte in die tiefste Erde
noch tiefer, als wo Fisch und Weltkuh leben.
Die Wurzeln: lachender noch als die Zweige,
durch ihre Formen ward der Sinn verstört.
Und spaltete man eine Frucht mit Macht,
so floss statt Saft daraus ein Lichterblitz.
Seltsamer noch: nah ihnen gingen Menschen,
wohl hunderttausende in Wüsten, Steppen,
die sich unendlich doch nach Schatten sehnten,
aus Teppichen sich Sonnenschutz gemacht,
den Schatten dieser Bäume gar nicht sehen,
man spucke hundertfach in ihre Augen!
Den kleinsten Stern sieht, wer den Mond nicht sieht.
Er sieht Atome, aber nicht die Sonne,
und doch verzweifelt er nicht an der Gnade.
Die Karawanen hungrig - und die Früchte,
sie fallen reif herab - welch Zauber ist das?
Die Leute kauten alle faule Äpfel,
mit trockner Kehle, alles durcheinander.
Und jedes Blatt und Knösplein an den Zweigen
rief aus: «O wüsste doch mein Volk!» im Neigen.
Von jedem Baume diesen Ruf man hörte:
«Kommt her zu uns, Unglückliche, Betörte!»
Zu jedem Baum kam Gottes Ruf voll Eifer:
«Wir banden ihre Augen - keine Zuflucht!»
Wenn jemand sagte: «Geht nach jener Seite,
dass jene Bäume Frucht und Schatten geben»,
so sagten alle: «Dieser Arme, Trunkne
ist wohl verrückt - so hat es Gott gewollt.
Durch lange Leidenschaft und durch Askese
ist sein Gehirn faul wie 'ne alte Zwiebel!»

Er sprach: «Dann eilte ich noch weiter vor
und alle sieben wurden nun ein Baum
sie wurden einer, wurden einzeln dann-
Wie ging's mir. ach.mir ganz verwirrtem Mann?
Dann sah ich diese Bäume im Gebet
so aufgestellt wie die Gemeinde steht
ein Baum stand als Imam den andern vor
die andern, hinter ihm. im Aufrechtstehen
Dies Stehen, dieses Knien, das Sich-Neigen -
gar sehr verwundert stand ich vor den Bäumen
Doch dann fiel Gottes Wort mir wieder ein-
«Es neigen beide sich: der Stern, der Baum»
Die Bäume hatten Knie nicht noch Hände -
Wie kann man solch Gebe! denn dann vollziehen?
Da kam die Eingebung vom Herrn der Stärke-
«Du wunderst dich noch über Meine Werke"».'
Nach einer Weile setzten sich die Sieben
um Gott den Einzigen so anzubeten.
Ich rieb die Augen mir: die sieben Helden
wer sind sie wohl, und was besitzen sie?
Als auf dem Weg ich ihnen näher kam
begrüßte ich sie höflich mit Salaam
Als Antwort sprach die Gruppe da zu mir
«Gruß dir, Daquqi aller Krone!»
Ich dachte: «Nun. wie kennen sie mich denn
da sie noch nie vorher mich je erblickt'.,
Rasch lasen sie vom Herzen die Gedanken
und blickten sich verstohlen alle an
und gaben lachend mir die Antwort: «Lieber,
ist auch dies noch vor deinem Sinn verhüllt?
Denn für ein Herz, das ganz in Gott entworden,
ist nichts verhüllt, sei es im Süd, im Norden.»
Ich dachte: «Wenn in Gott sie ganz versunken,
woher kommt ihnen Kenntnis noch von Namen?»
«Der Heilige mag Namen wohl vergessen,
weil er in Gott versunken, nicht aus Torheit.»
Dann sagten sie: «Wir hegen einen Wunsch:
zu beten unter deiner Leitung, Freund.»
Ich sagte: «Gern - doch wartet noch ein Weilchen:
der Zeitverlauf macht mir doch Schwierigkeiten.
Durch heilige Gesellschaft mag sich's lösen -
Gesellschaft lässt aus Staub die Traube wachsen.
Ein pralles Korn hielt sich im Staube auf
und in Gesellschaft ward vertraut es ihm,
und löste sich im Staube gänzlich auf,
so dass von ihm nicht Farbe blieb, noch Duft.
Dann blieb' es nicht mehr unter diesem Drucke,
es sprosste, wuchs, und breitete die Schwingen.
Als so sein Ursprung ohne Selbst geworden,
verging die Form, der Sinn erglänzte leuchtend.»
Sie nickten: «Ja, dein ist nun der Befehl!»
Von ihrem Nicken sprang mir Glut ins Herz.
So saß ich mit der Gruppe der Erles'nen,
tief meditierend, von mir selbst getrennt.

In solcher Zeit befreit von Zeit das Herz sich:
denn Zeit und Stunde lassen Junge altern,

denn aller Wechsel kommt nur von den Stunden
wer davon frei wird, kennt auch keinen Wechsel
Wirst eine Stunde du von Stunden frei
wirst du vertraut mit dem, was ohne Wie ist.

Im Gruß und Grüßen aller dieser Frommen
heg aller der Propheten Lob beschlossen
Die Lobesworte sind in eines verflossen,
die Kruge in ein Becken ausgegossen.
Er, der gepriesen wird, ist Einer nur
Die Glaubenswege sind drum einer nur
Durch Gottes Licht allein wirkt Lob und Preis
geliehen ist’s Gestalten und Personen '
Wie lobte man, wenn Ihn nicht, der's verdient'
Doch irren sich im Wahn ja die Gedanken
dem Lichte gleich, das auf die Mauer fällt
Die Mauer ist nur Bindung für die Lichter
Doch geht zum Ursprung Schatten so wie Licht
- wer irrt, sieht nicht den Mond mehr, preist ihn nicht.
Der Widerschein des Monds zeigt sich im Brunnen,
man beugt sich hin, versucht, ihn draus zu holen.
In Wirklichkeit lobt er den Mond, wenn er
aus Torheit auch zum Spiegelbild sich wendet.

Er loht den Mond, doch nicht den Widerschein
Unglaube wird's, wenn man es falsch versieht.
Zwar weiß der Weise, da» sich das Göttliche in
der Welt reflektiert, aber er darf sich nicht an den
Widerschein halten, sondern muss zur Quelle zurück
gehen, denn Liebe zu Idolen ist gefährlich.
Dann wirkt Daquqi als Vorbeter für die Lichtgestalten:

Daquqi trat nun zum Gebete vor.
wie Stickerei, und sie wie Seidenflor.
Die Könige vom Seelen-Fürstentum.
sie knieten hinter dem Imam voll Ruhm.
Als sie im Rufe: «Gott ist groß!» sich fanden,
wie Opfer sie von dieser Welt verschwanden.
Der Sinn von «Gott ist groß» ist: «Wir sind hier
und werden ganz zum Opfer. Gott. vor Dir..»
Man spricht dies Wort. wenn man ein Opfer schlachtet,
ihr sprecht es nun. da ihr euch selber brachtet.
Die Seele - Abraham - spricht: «Gott ist groll!»
dem Leibe - Ismail - als Opferlos.
Den Leib hat Lust gelotet - er vergeht
«Im Namen Gottes»: Opfer im Gebet.
Wie beim Gericht stehn sie vor Gott in Reihn:
in Prüfung treten sie und Zwiesprach ein.
Voll Tränen sind sie - wie am Jüngsten Tag
die fromme Schar vor Gott wohl stehen mag!

Verzagt an allem heben wir die Hände:
«Du bist der Erste, Letzte, Du das Ende!»
Sieh diese schönen Zeichen im Gebet,
Damit du weißt, dass dies gewiss entsteht!
Das Kücken brüt' aus Pflichtgebetes Ei
und pick nicht unbescheiden mit Geschrei!

Daquqi vernimmt nun die Hilferufe der auf einem
Schiff gestrandeten Sünder und beginnt, bewegt von
seiner Menschenliebe, auch für sie zu beten:

Er sprach: «O Herr, sieh nicht auf ihre Tat,
Nimm ihre Hand Du, wunderbar an Rat!
Bring sie gesund und heil zurück zum Strand,
Du, dessen Hand reicht über Meer und Land!
Ew'ger Erbarmer, o Du, voller Huld
O sieh doch nicht auf dieser Bösen Schuld!
Der Du umsonst uns Aug' und Ohr gegeben,
Und ohne Lohn verleihst Verstand und Leben
Und uns Unwürdige so reich beschenkst
Und Irrtum, Sünde nur von uns empfängst -
O Mächtiger: den mächtigen Verbrechen,
Die wir getan, kannst Du Vergebung sprechen!
Wir sind verbannt in Selbstsucht und in Gier,
Und dies Gebet, das lernten wir von Dir!
Voll Dank, dass Du dies Wissen uns verkündet
und hier im Finstern dieses Licht entzündet...»
Es kam von seinen Lippen das Gebet,
so wie wohl eine Irene Mutter fleht:
aus seinen Augen quoll der Tränen Lauf.
ihm unbewusst stieg sein Gebet hinauf.
Solch ein Gebet ist von ihm selbst ganz lern:
Er betet nicht - es ist das Wort des Herrn!
Da er entward, spricht Gott selbst sein Gebot,
bei dem Gebet und auch Erfüllung stellt.

Gott hat - das merke, der du weltgebunden! -
Gebet mit «Antwort gebe Ich» verbunden.
Der, dessen Herz von Erdenunrast rein -
zum Herrn der Macht geht sein Gebet hinein.

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